Hügel 335

Bruder Zacharias Geist raste. Er hatte die Worte des Goden Orwick vernommen und sie brannten sich in seine Seele. Wer den verfluchten Hammer gegen den Dämon führt, würde dies nicht überleben. Der Gode hatte die Knochen befragt und seine Weissagung war eindeutig.

Tjark Torgeson, einer der Nordmänner trat vor und beanspruchte die Herausforderung, wohl in der Hoffnung einen Ehrenplatz in Valhalla zu bekommen. Doch zu Zacharias entsetzen stellte sich Bruder Falk neben den Heiden und tat dasselbe.

Dieser fing an mit Bruder Falk um die Ehre zu streiten. Orwick genervt von der Diskussion nahm einen seiner Knochen der Weissagung und legte ihn neben die brennende Feuerstelle. “Wer immer zuerst den Knochen nimmt und ihn mir gibt, soll den Hammer gegen den Dämon führen!” Bruder Falk und der Heide diskutierten unbeirrt weiter und suchten nach einer Möglichkeit, den Disput zu beenden.

Zacharias starrte auf den Knochen und in diesem Moment offenbarte sich ihm sein Schicksal. In einem kurzen Moment sah er sein ganzes Leben vor sich. Es war eine Offenbarung: Jeder Fehltritt und jede gute Tat spielten sich vor seinem inneren Auge ab, reihten sich auf und wogen sich gleich einer Waage gegeneinander auf. Er spürte, dass dies seine Bestimmung war. Endlich konnte er einen Unterschied machen, etwas tun, dass sich die Waage zu seinen Gunsten kippte.

Er spannte sich, Tjark schlug gerade einen Ringkampf vor, um den geeignetsten zu ermitteln. Entschlossen trat Zacharias einen Schritt nach vorn, griff nach dem Knochen und drückte ihn Orwick in die geöffnete Hand.

Der Raum wurde schlagartig still. Alle starrten ihn an. Der Gode erhob seine Stimme: “Bist du dir sicher?” Zacharias nickte entschlossen während er in die entsetzten Augen seiner Gefährten blickte. Mit leicht zittriger Stimme sprach er: “Ja!” Die Wahl war getroffen.

Entschlossen zogen die Reste des Heeres zum Tempel, wo die Weihung des Hammers, für den sie so viel Blutzoll gezahlt hatten vollzogen werden sollte, eine weitere Aufgabe die Zacharias zu vollbringen hatte. Er platzierte den Hammer auf dem Altar des goldenen Drachen und zusammen mit Orwick, sprach er Segen, Gebete und flehte die Drachen um ihre Hilfe an. Als die letzten Gebete verklungen waren, leuchtete der Hammer in einem goldenen Schimmer. Alles war vorbereitet.

Die Reste des Heeres sammelten sich auf dem Platz vor dem Tempel. Zacharias ging nacheinander zu seinen Gefährten, verabschiedete sich oder sprach gemeinsame Gebete. Bruder Falk sah seinen Ordensbruder an. Er sah die Unsicherheit und spürte die Furcht welche Zacharias befiel. Er legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter und versuchte ihn zu beruhigen, während dieser wie ein aufgeschrecktes Tier auf dem Platz – Gebete murmelnd – auf und ab schritt. Immer wieder ging Zacharias auf die Knie. Er schnappte sich Björre, einen Nordmann aus dem Triumvirat und ging zu Zacharias. “Lasst uns gemeinsam beten!”, sprach er und so beteten sie das Gebet der 7 Tugenden und ließen es über den Platz schallen, als vom Tor der Ruf erscholl: “Sie kommen!”

Falk warf einen Blick durch das Tor und beobachtete den Heerwurm der Orks, der die Straße herunter stürmte, auf der er und seine Gefährten noch am gestrigen Tag verzweifelt versucht hatten Caronne zu erobern. Noch immer sah man dort das Blut der Gefallenen. Das von Orks wie auch von Menschen. Eine Schildreihe formierte sich in dem zerstörten Tor und Piken und Langäxte wurden in die zweite Reihe gestellt. Unaufhaltsam näherte sich die Wand schwarzer und stinkender Leiber der kleinen Schar der überlebenden Verteidiger. Er dachte an all die Toten. Reinhardt den Ritter aus dem Triumvirat, Wilhelm den zähen, aber bissigen Spießer und all die anderen, deren Namen er nie gekannt hatte.

Mitten in dem anstürmenden Mob konnte er die verhassten Rüstungen des Urfeindes erkennen und weiter hinten, die mächtigen Hörner des Dämons, der für all die Toten und das Leid, welches Caronne befallen hatte verantwortlich war. Falk und Björre stellten sich neben Zacharias, um ihn zu flankieren und vor den heran stürmenden Orks zu schützen, damit dieser den Dämon stellen konnte. Er blickte in das Gesicht seines Ordensbruders, der seine Entschlossenheit gefunden hatte und in dessen Augen der unbändige Zorn loderte, den Falk schon so oft bei ihm gesehen hatte. Der Moment der Entscheidung war gekommen.

Sir Eiwan sah dem Priester des Tempale Ordens nach, als dieser sich hinter dem Schildwall positionierte. Er kannte ihn kaum und doch war er ob seiner Opferbereitschaft beeindruckt. Als die erste Welle gegen den Wall brandete, wurde dieser tief zurück ins Tor gedrängt. Die Welle zerschellte an den Verteidigern, doch die ersten fielen und die Rufe der Verletzten und Sterbenden erschollen über den Kampfplatz. Sie waren von Anfang an schlecht aufgestellt gewesen – kaum Feldschere, nur einen Magier, diesen tapferen, aber wahnsinnigen Priester und den Goden der Nordleute hatten sie, und nun stemmten sie sich einer weiteren Übermacht entgegen. Unter hohem Blutzoll hatten sie Caronne erobert und nun schien alles vergebens. Die Belagerer waren zu belagerten geworden. Eine zweite und eine dritte Welle rollten heran und der Wall der Verteidiger brach. Der Platz verwandelte sich in ein Gemetzel, als immer mehr Verteidiger zurück wichen.

Er sah wie Zacharias und die kleine Gruppe seiner Gefährten ihre Waffen fester packten und sich den Orks entgegen warfen. Dort wo der dem goldenen Drachen geweihte Hammer hernieder ging fielen die Angreifer und jedes Mal leuchtete die Waffe in einem goldenen Schimmer auf.

“Richter” war ein passender Name für diese Waffe und ihre Ernte war reichlich. Der Feind schreckte zurück und wurde wieder aus dem Tor gedrängt. Zacharias und Falk gingen zum Tor und mit lauten Beleidigungen forderte Bruder Zacharias den Dämon.

Dieser Antwortete mit tiefer Stimme und trat auf den Platz seitlich des Tores. Es war soweit, hier und jetzt würde sich das Schicksal von Caronne entscheiden.

Entschlossen trat Zacharias auf den Platz, um sich seinem Schicksal zu stellen. Er starrte auf die imposante Gestalt des Dämons. Verächtlich blickte der Dämon ihm entgegen und mit tiefer Stimme sprach er: “Bist du gekommen um zu sterben kleiner Wurm?” Bestimmt antwortete er ihm: “Ich bin gekommen, um deiner Verderbnis ein Ende zu bereiten und dich im Namen des Goldenen zu richten!” Dunkler Nebel umwaberte sein Ziel und die Konturen des Dämons verschwammen vor seinen Augen. Mit einem Aufschrei stürzte sich Zacharias auf den Feind, den Schild zur Abwehr erhoben und den Hammer fest umschlossen, um dem Scheusal einen mächtigen Schwinger zu versetzen. Der Dämon trat ihm verächtlich entgegen. “Du hast nicht die Macht mich zu verletzen.” Schneller als Zacharias erwartet hatte holte er aus und schlug 2-mal gegen seinen Schild. Zacharias ging zu Boden als sein Schild zerbrach und rote Funken in alle Richtungen stoben. Schwer atmend kam er wieder hoch und griff mit der zweiten Hand nun ebenfalls den Schaft von “Richter”. Ein Gebet an den Herold, den goldenen Drachen und all seine Götter auf den Lippen, ging er zum Gegenangriff über. Er traf den Dämon an der rechten Schulter und dieser taumelte irritiert zurück. “Was ist das für eine Zauberei?”, fluchte er. Zacharias setzte nach und verpasste ihm einen weiteren Treffer. Von Zorn erfüllt trat der Dämon ihm entgegen. “Nun wird es wenigstens interessant!” Er holte aus, traf Zacharias auf die Brust. Dieser flog quer über den Kampfplatz und blieb benommen liegen. Der Kampf am Tor war fast zum Erliegen gekommen. Laute Rufe erklangen, als beide Seiten anfingen ihren jeweiligen Favoriten anzufeuern. Erschöpft richtete sich Zacharias auf, er würde nicht fallen, er durfte nicht fallen. Kompromisslos droschen beide aufeinander ein – mal den einen, mal den anderen zurückdrängend, während Nebel und rote wie auch goldene Funken sie umschlossen.

Schließlich ging Zacharias ein weiteres Mal in die Knie. Er sammelte seine letzte Kraft, stieß sich ab und schlug mit „Richter“ in beiden Händen, dem Dämon mitten auf die Brust. Panzerplatten zersprangen, schwarzes Blut quoll hervor und das Biest schrie vor Schmerz auf. Voller Hass packte es Zacharias: “Wenn ich falle, so nehme ich dich mit in die Hölle!” Zacharias spürte einen harten Ruck in seinem Brustkorb. Heißes Feuer brandete durch seine Adern und unbeschreibliche Kälte umfasste sein Herz.

Bruder Falk sah wie Zacharias dem Dämon den gewaltigen Hieb versetzte. Mit Schmerz verzerrtem Gesicht packte dieser Zacharias und riss ihn mit sich zu Boden. Beide verschwanden in einer schwarzen Nebelwolke, die sich sogleich verzog. Zurück blieb nur der reglose Körper von seinem Ordensbruder. Falk stürzte zu ihm, aber ein Blick genügte, um zu wissen, dass sich die Prophezeiung des Goden erfüllt hatte. Hasserfüllt, mit einem Schrei auf den Lippen griff Falk nach dem verfluchten Hammer und stürzte sich auf die verbliebenen Feinde. Von einem Blutrausch erfasst, schlug er wieder und wieder zu, spaltete Schädel, Brustkorb und Fleisch. Die Zeit verlangsamte sich, so dass aus Sekunden – Minuten und aus Minuten – Stunden wurden. Sein Sichtfeld verengte sich, als er über die von ihm gefällten Gegner schritt. Dann war es mit einem Mal vorbei. Eines der verbliebenen Chaosgezüchte trat ihm entgegen, schlug den Hammer beiseite und ließ seine gewaltige Axt auf ihn hernieder sausen. Falk spürte einen dumpfen Schlag und fiel danach in eine tiefe Finsternis.

Isaac wusste um Zacharias Absicht, er hatte versucht ihn davon abzubringen, doch mehr noch als sonst konnte er ihn nicht mit seinen Worten erreichen. Er konnte, er wollte nicht sehen wie sein Freund starb. Bewusst hatte er sich von Zacharias distanziert. Hatte ihn beobachtet, hatte gehofft doch insgeheim wusste er, dass Zacharias ein unaufhaltbares Bollwerk umgab. Er versuchte Zacharias so gut es ging in der Schlacht im Auge zu behalten, doch es war schier unmöglich. Als die Orks durchbrachen fand er sich in einer Ecke eingepfercht wieder mit einem Gezücht vor sich. Er konnte sich kaum der Schläge erwehren welche auf ihn niederprasselten. Zu seinem Glück bewahrten ihn seine Schutzzauber vor allem groben bis er sich des Monsters entledigen konnte.

Er suchte wieder nach Zacharias fand ihn jedoch nicht. In seiner Verzweiflung irrte er umher, sah den Dämon vor dem Tor auf der Wiese doch von Zacharias keine Spur. Schreie drangen an sein Ohr, schreie die seinen Namen riefen. Der Weidenauer Söldner Gernot schrie seinen Namen aus voller Kehle. Wilhelm, sein Waffenbruder verkrampfte sich neben ihm, sackte auf seine Knie und ein wurmartiges Gezücht platzte aus seinem Brustkorb heraus. Noch im Lauf beschwor er Flammen um Gernot beizustehen. Dieser hieb verzweifelt mit seinem Schild auf den Parasiten ein. Ohne Umschweife sandte er das Feuer aus um die verbliebenen Reste zu vernichten.

Er mochte Zacharias aus den Augen verloren haben, doch dies, hier und jetzt, war wichtiger. Mit wenigen Worten schleppten sie Wilhelm in die Kapelle in der Horathio sich alleine um alle verwundeten kümmerte. Wilhelms Brustkorb war aufgeplatzt und sein Herz exponiert. Routiniert folgte Isaac den Anweisungen von Horathio um das Leben des Weidenauers zu retten. Jemand rempelte ihn an, als weitere Verletzte in die Kapelle getragen wurden und mit einem Ohr hörte er Zacharias Namen. Ihm bangte es, was er sehen würde wenn er sich aufrichtete. Er fokussierte sich wieder auf Wilhelm vor sich. Doch dauerte es nicht mehr lange und der Söldner war soweit über den Berg, dass er es nicht mehr aufschieben konnte. Er richtete sich auf und was er sah war noch viel schlimmer als er es erwartet hatte. Vor ihm lagen zwei Körper aufgebahrt. Der eine war Zacharias, der andere Bruder Falk. Hier entglitt es ihm.

Isaac hatte sich mehr oder weniger darauf eingestellt, Zacharias zu verlieren doch das nun auch Bruder Falk dort lag mit den Münzen für den Fährmann auf den Augen brach den Damm ihn dem jungen Feuermagier. Hemmungslos liefen seine Tränen über sein Gesicht. Er hatte hier viel Tod und Verderben gesehen. Reinhart, Willie, Lothar alle gestorben. Doch es waren nur flüchtige Bekanntschaften. Dies hier war etwas anderes. Hier lagen seine Freunde. Seine Freunde, die er an diesen unsäglichen Ort geführt hatte. Dies hier war seine Schuld. Er konnte nicht an sich halten. Während die Tränen flossen suchte er nach Zacharias Glaubensbuch, um den letzten Worten aller Anwesenden die Worte von Sun, Terra und Mundus hinzuzufügen. Mit brüchiger Stimme las er die Worte über Suns Kampf, welche ihm halfen den rechten Kurs zu finden. Er wusste was das Mindeste war was er tun konnte.

Er würde morgen einen Weg in ihre Heimat öffnen, zurück zu dem Stützpunkt des Ordens den er gemeinsam mit Zacharias aufgesucht hatte. Sie sollten gemäß ihres Glaubens bestattet werden und nicht hier an diesem verdorbenen Ort.

Scriptor Lucius legte die Depeche beiseite und seufzte. Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher und blickte auf das mit Blut bespritzte Sunicum, welches der Depeche beigelegen hatte, dann trat hinter seinem Schreibtisch hervor. Er orientierte sich kurz und warf einen Blick auf die Karte der Mittellande vor sich. Sie war übersät mit Fähnchen – roten, grünen und schwarzen. Er ließ seinen Blick schweifen, bis er gefunden hatte was er suchte. Er pflückte ein rotes Fähnchen von der Karte, nahm ein grünes Fähnchen aus einem Kästchen schrieb eine kurze Nummer drauf und platzierte sie an der Stelle, wo vorher die Rote gestanden hatte.

Er trat zurück und wandte sich einem dicken Buch zu. Mit einem frischen Federkiel vermerkte er: Zwei Ordenbrüder tot – Hügel 335 (Caronne) befriedet.

Jan von Schlicher, Dominik Fröhlich 19.11.2017